Wenn der Fluss nicht frei fließen darf! Wenn der Fluss nicht frei fließen darf!
Bild: AVS
Wenn der Fluss nicht frei fließen darf!
27.04.2023
Umweltministerium düpiert Wirtschaftsministerium in Sachen Kleinwasserkraft

Rückblick. Seit vielen Jahren schon fordern Anglerverbände, Naturschutzverbände oder Wissenschaftler, dass die Bundespolitik den Betrieb und Bau kleiner Wasserkraftanlagen nicht mehr über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) subventionieren soll. Beim Betrieb von Kleinwasserkraftanlagen unter 1 MW Leistung stehen oft einer unwirtschaftlichen Energiegewinnung massive Schädigungen und Störungen der Fließgewässerökosysteme gegenüber. Die Unwirtschaftlichkeit wird dabei durch Klimawandel und Wassermangel noch verschärft. Unter freien Wettbewerbsbedingungen würden viele diese unwirtschaftlichen Anlagen nicht weiter betrieben und keine Investitionen für neue Kleinwasserkraftanlagen geplant. Doch die möglichen Subventionen durch das EEG machten solche Anlagen für Betreiber und Investoren lukrativ. Dem wollte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) 2022 eigentlich mit seinem „Osterpaket“ Einhalt gebieten. Dieses Gesetzespaket beinhaltete Regelungen, Kleinwasserkraftanlagen bis zu 0,5 MW Leistung nicht mehr zu fördern. Für Bestandsanlagen sollte es Übergangszeiten geben, für neue Anlagen sollte diese Regelung sofort greifen. Mit Beendigung dieser Subvention wären den Flüssen und Bächen weitere geplante Kleinwasserkraftanlagen erspart worden. Für die bestehenden unwirtschaftlichen Anlagen hätte es nach den Übergangszeiten wohl endlich das Aus bedeutet. Doch unter dem Druck der Wasserkraftlobby knickten am Ende Wirtschaftsminister Habeck und sein Ministerium ein und strichen kurzerhand diese Regelungen aus dem geplanten Gesetzespaket, ein Bärendienst an den Ökosystemen der Bäche und Flüsse.

Doch nun geht ausgerechnet das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz von Ministerin Steffie Lemke (Grüne) in offene Konfrontation dazu. Ministerin Lemke setzte die neue Nationale Wasserstrategie 2023 im Kabinett durch (Kabinettsbeschluss vom 15.03.2023) und düpiert damit das Wirtschaftsministerium und Wirtschaftsminister Habeck. In der sehr umfangreichen, gesamtheitlichen Nationalen Wasserstrategie 2023 werden in Bezug zum Thema Kleinwasserkraft zum Wirtschaftsministerium konträre Einschätzungen und Forderungen erhoben.

Kleinwasserkraftanlagenanteil an Wasserkraft 90 Prozent, aber nur 15 Prozent Anteil an der Stromerzeugung aus Wasserkraft

In Deutschland werden gegenwärtig etwa 8.300 Wasserkraftanlagen betrieben, von denen ca. 7.300 in das öffentliche Stromnetz einspeisen. Insgesamt werden etwa 20.000 Gigawattstunden Strom pro Jahr in das öffentliche Netz eingespeist. Über 80 % dieses Stroms wird in Bayern und Baden-Württemberg erzeugt. Kleinwasserkraftanlagen (Anlagen bis 1 MW) haben einen Anteil von ca. 90 % am Anlagenbestand und erzeugen ca. 15 % des Stroms der gesamten Wasserkraftsparte.“

7.300 Wasserkraftanlagen speisen ins Stromnetz ein. Über 6.500 Anlagen (90 Prozent) davon sind Kleinwasserkraftanlagen (Anlagen bis 1 MW), die Flüsse und Bäche zerstückeln und schädigen, aber am Ende in Summe nur 3.000 Gigawattstunden einspeisen. 17.000 Gigawattstunden der jährlichen 20.000 Gigawattstunden aus der gesamten Wasserkraft liefern knapp über 700 Großanlagen. 2022 wurden insgesamt in Summe aller Strom produzierenden Sparten 509.000 Gigawattstunden Strom produziert. Der Anteil der über 6.500 Kleinwasserkraftanlagen beträgt daran gerade einmal 0,59 Prozent.

Energiegewinnung aus Wasserkraft in 33 % signifikant belastend

„Im Rahmen der Umsetzung der WRRL wird die Energiegewinnung aus Wasserkraft an 33 % der Fließgewässer bzw. 45.000 km Fließstrecke von den Bundesländern als signifikante Belastung eingestuft. Je geringer der Stromertrag einer Wasserkraftanlage ist, desto ungünstiger stellt sich das Verhältnis zwischen den Kosten der erforderlichen gewässerökologischen Entwicklungsmaßnahmen (insbesondere §§ 33–35 WHG) und dem Ertrag der Anlage dar.“

Hier wird klargestellt, dass Kleinwasserkraftanlagen mit ihren geringen, unwirtschaftlichen Stromerträgen enorme Negativeinflüsse auf die Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie WRRL haben und das extreme Kosten für die gewässerökologischen Entwicklungsmaßnahmen bedeutet.

Vielzahl an Kleinwasserkraftanlagen problematisch für Zielerreichung EU-Wasserrahmenrichtlinie und FFH-Richtlinie

„Für manche Infrastrukturen sind die Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie bisher nur teilweise umgesetzt worden. Als Beispiel können nicht angepasste Querbauwerke, Stauanlagen und Entwässerungsanlagen genannt werden, die dazu beitragen, dass die Bewirtschaftungsziele nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland noch nicht erreicht werden und auch die Zielerreichung eines „günstigen Erhaltungszustands“ der Wanderfische von gemeinschaftlichem Interesse gemäß Anhang II zur FFH-Richtlinie unwahrscheinlich bleibt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Vielzahl kleiner Wasserkraftanlagen (≤1 MW), die zwar nur einen minimalen Anteil an der Bruttostromerzeugung in Deutschland haben, allerdings regional durchaus für die Stromerzeugung relevant sein können. Da Altrechte auf Basis der zum jeweiligen Zeitpunkt geltenden rechtlichen Regelungen erteilt wurden, treten an Wasserkraftanlagen Diskrepanzen zwischen den gewässerökologischen Anforderungen nach heute geltendem Wasserrecht (§§ 33–35 WHG) und deren Umsetzung auf.“

Mit dieser Vielzahl an unwirtschaftlichen, subventionierten Kleinwasserkraftanlagen wird es keine Zielerreichung der EU-Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie geben. Ein günstiger Erhaltungszustand der Wanderfische ist so nicht zu erreichen. Noch nicht einmal die Umsetzung der gewässerökologischen Anforderungen nach heute geltendem Recht wird an bestehenden Altanlagen ausreichend umgesetzt.

Konsequente Anwendungen des Fischereirechts in wasserrechtlichen Verfahren zur Kleinwasserkraft

„Schließlich sind bei allen Planungen und Maßnahmen von Infrastrukturen neben der Umsetzung der Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie zu beachten, die einen guten Zustand der Grund- und Oberflächengewässer sowie einen günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensräume der Still- und Fließgewässer fordern. […] Bei Neuzulassung, Änderung oder Anpassung der Zulassung von Wasserinfrastrukturen oder deren Nutzungen – wie z. B. die Wasserkraft – müssen das geltende Wasserrecht und ggf. weitere einschlägige Rechtsbereiche, wie z. B. das Fischereirecht, daher konsequenter angewendet und die nötigen Maßnahmen zur Minderung der ökologischen Auswirkungen von Wasserkraftanlagen nach §§ 33–35 WHG getroffen werden.“

Die Nationale Wasserstrategie fordert klar die konsequente Anwendung des Fischereirechts in wasserrechtlichen Verfahren. Aktuell geschieht dies unzureichend bis gar nicht. Fachliche Stellungnahmen der Fischereibehörde oder der Anglerverbände mit Belangen zur Fischereigesetzgebung, zum Fischereirecht oder zu gewässerökologischen Einwänden werden oft „weggewogen“ und damit ignoriert.

Wasserkraft gewässerschonend gestalten – Rückbau von Wasserkraftanlagen fördern

„Um die geforderte Kohärenz des Netzes Natura 2000 zu stärken, ist insbesondere der länderübergreifende Biotopverbund auszubauen (v. a. Bäche, Flüsse, Auen). Auch der Rückbau von Anlagen und Befestigungen ist vorzusehen und rechtlich zur erleichtern.“

„Der Betrieb von Wasserkraftanlagen trägt dazu bei, dass die Bewirtschaftungsziele nach der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland noch nicht erreicht werden. Gemeinsam mit den Ländern werden mögliche Maßnahmen im Bereich der Wasserkraft geprüft, die zur Verbesserung der gewässerökologischen Situation an Fließgewässern in Deutschland insbesondere im Hinblick auf die Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie beitragen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der ökologischen Durchgängigkeit für Organismen und Sedimente, einschließlich des Fischschutzes. Dazu gehören u. a. Schritte zur konsequenten Durchsetzung der gesetzlichen Anforderungen (§§ 33ff WHG) - insbesondere bei vorhandenen Wasserkraftnutzungen - im Vollzug sowie zum Rückbau von Anlagen. Einen Anreiz zur Umsetzung von Maßnahmen könnten Landesfördermittel für die ökologische Sanierung und den Rückbau von Wasserkraftanlagen haben, die auch an Private vergeben werden können.“

Hier greift die Nationale Wasserstrategie etwas auf, was wir als Anglerverbände seit Jahren fordern. An wirtschaftlichen Kleinwasserkraftanlagen müssen gewässerökologische Verbesserungen zum Lebensraum und zur Durchgängigkeit konsequent umgesetzt werden. Angesichts der Fülle an unwirtschaftlichen, nur mit EEG-Subvention überlebensfähigen Kleinwasserkraftanlagen darf auch das Thema „Rückbau“ kein Tabuthema sein. Die Zerstückelung der Bäche und Flüsse und die einhergehenden ökologischen Schäden und Beeinträchtigungen stehen in keinem Verhältnis zur produzierten Strommenge. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass in viele Kleinwasserkraftanlagen durch den Wassermangel in Zeiten des Klimawandels die Turbinen Teile des Jahres still stehen, muss endlich über den Rückbau solcher Anlagen verhandelt werden.

Festhalten kann man, dass in der Nationalen Wasserstrategie wichtige Punkte zum Thema Kleinwasserkraft und dem Umgang mit ihr festgehalten wurden. Abzuwarten bleibt, ob daraus auch Handeln der politischen Entscheidungsträger und Behörden erwächst. Denn schon viele gute Sachen wurden zu Papier gebracht, doch nie umgesetzt. Papier ist eben geduldig. Daher nehmen wir die Nationale Wasserstrategie positiv wahr, bleiben aber in Bezug auf deren Umsetzung auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit skeptisch.

Download Nationale Wasserstrategie 2023

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